Wir hatten Sehnsucht nach einem authentisch gelebten Christentum in der Kirche

Im September 1976 kamen mein Verlobter Hajo Kindler und ich zur „Integrierten Gemeinde“, kurz IG, von Berlin nach München. Diese katholische Gemeinschaft wirkte auf uns wie ein authentisch gelebtes Christentum, auf dem Hintergrund der Erfahrungen in der Nazi-Zeit. Das hat uns fasziniert. „Was fehlt der Kirche, dass so etwas wie der Holocaust geschehen konnte?“ Daran wollten wir mitarbeiten, das hat uns durch alle Schwierigkeiten getragen.

Kurz zu meiner Person: Als Kind war ich „der Sonnenschein der Familie“. Mein Bruder und ich, wir hatten eine wunderschöne Kindheit, mit liebevoller Hingabe unserer Eltern. Sie haben uns alles ermöglicht, in den Nachkriegsjahren, besonders die Werte der Kirche uns nahe gebracht, Nächstenliebe, Bildung, musikalische Bildung und Erlebnisse, wunderschöne Kinderfeste, haben uns über Hitler und das „III. Reich“ aufgeklärt, über die Judenverfolgung erzählt und uns vermittelt, wie wichtig es ist, sich über die Parteien und alles zu informieren, und vieles andere.

Die ersten zwei bis drei Jahre in der IG waren wir geliebt, gebraucht und wurden ins Gesamte eingebunden. Dann änderte sich die Richtung, laangsam, schleichend, uunmerklich in – für mein Verständnis – Ausnutzung. Da hatten wir aber schon alles investiert, alle Zeit, alle Kraft, allen Einsatz, auch finanziell alles, alles Übrige neben dem Lebensunterhalt abgegeben. Mein Mann verdiente damals gut, und die Gemeinde brauchte  viiel Geld. „Gemeinsames Wirtschaften unter Beibehaltung des Eigentums“ war Theorie. Unser Geld ist ‚weg‘ –  !?

Die langjährige Chefin in der Arztpraxis mit drei Ärzten der IG, in der ich auch arbeitete, hatte die Aufgabe der „Integration“ aller Beteiligten übertragen bekommen. Wir sollten auf sie hören, auch obschon sie keinen „Dr.“ hat, in vielen Versammlungen wurde das so ausgedrückt. Sie war aber nicht die einzige mit spirituellem Missbrauch. Das haben auch viele andere so ähnlich und auf ihre je eigene Weise betrieben. Und es traf nicht alle von uns Beteiligten – Gott sei es gedankt – aber leider sind wir nicht die einzigen.

 

Sätze, die ich 100-mal im Bösen von ihr gesagt bekam, die ich gerne vergessen würde, Traumata, 21 von 24 Jahren waren extrem schlimm, dabei bin ich auch stark depressiv geworden, nach Beendigung der Arzthelferinnen-Lehre 1979:

 „Monika, Du weißt genau, wo Du mich treffen kannst! Monika, Du machst das extra!“ Die ‚Chefin‘ war unberechenbar, ich wusste oft nicht einmal was sie meinte.  „Monika, ich schreibe Dich krank! Monika, ich kündige Dir.“ Tat sie nie, sie brauchte mich ja. Ich merkte es nicht, wie schlecht es mir dabei ging.

„Wenn Du der Frau Doktor nicht so viel wie irgend möglich hilfst, kannst Du hingehen wo der Pfeffer wächst!“  ein gängiger Satz. Ich hatte aber viele Auftrag-Geber: Die Patienten und ihre Kinder, die Anmeldung, die Kolleginnen. Und es musste alles immer so sein, dass jederzeit „der Kaiser von China“ kommen konnte, das war die Gemeindeleiterin, Frau Traudl Wallbrecher. Höchster Standard in kürzester Zeit. Ich musste immer rennen, rennen, rennen, innerlich und äußerlich. In meinem Erleben wurde „Glaube und Form“ reduziert auf Form. Schicke Schuhe waren so wichtig, dass ich statt Gr. 43 eine Nr. kleiner Gr. 42 trug, mit bleibenden Folgen.

„Hättest Du mich gefragt, hätte ich Dir schon gesagt, dass Dir das zu viel ist! Das ist ja ausgeschlossen, das schaffst Du doch nicht! Aber Du fragst ja nicht einmal!“ –  100-mal. Eine andere Kollegin haute immer hinterher: „Unmöglich dass Du das schaffst!“  –  Dann irgendwann habe ich alles nachgefragt, was ich tun sollte.

Ein häufiger Satz, auch mit hochrotem Kopf vor Zorn: „Monika, wir kennen Dich doch!“ wenn ich sagte, ich möchte da mitmachen, ich schaffe das. 

„Schau Dich doch an, wie Du ausschaust!!! – Ich kann Dein Gesicht nicht mehr sehen!!!“    

Wenn ein Mitarbeiter krank wurde, oder frech, war immer ich Schuld, habe heute noch ständig Schuldgefühle in aktuellen Situationen, wenn einer traurig wird.

„Du musst immer das letzte Wort haben!“ Auch andere sagten mir: „Du musst immer Deinen Senf dazu geben.“ Dann sagte ich irgendwann nichts mehr, bin bis heute blockiert, kann auf bestimmte Sätze von anderen nicht normal reagieren, nicht sagen, wie es wirklich ist, entgegen ihrer Meinung von meiner.

In einer Praxis musste ich die gebrauchten Instrumente in der gegenüber-liegenden Praxis sterilisieren. Wenn „fremde Angestellte“ mittags noch da waren, musste ich damit warten, bis sie gegangen waren, musste ich rückwärts wieder aus der Tür heraus und mich im Keller verstecken. Sie sollten nichts davon erfahren. Das habe ich nie verstanden, dass man ihnen das nicht erklären konnte, empfand es als Schikane. Und in anderen Punkten warf die ‚Chefin‘ mir vor, ich würde denken, die Praxis würde etwas Unerlaubtes tun.

„Monika, Du lässt ja die anderen auflaufen!“ und aber auch: „Du kümmerst Dich um Dinge, die gar nicht Deine Aufgabe sind!“ Ich wusste nicht mehr, was ich tun oder lassen sollte. Und ich bekam immer mehr Aufgaben einer anderen Kollegin auf mich übertragen. Dann wurde mir auch noch vorgeworfen, die Kollegin käme auf Abruf schneller zu Hilfe als ich.

Bei einer ‚Haushaltslehre‘ sagte mir die „Meisterin“ im Beisein der versammelten Mannschaft und des begleitenden Priesters: „Ich plane schon immer dreimal so viel Zeit ein für Dich als für andere!“ Da habe ich gedacht und somit aufgegeben: Das schaffe ich nie. Ich war ungeübt, und sobald ich schneller machte, zerbrach der Besenstiel oder fiel mir die Butter hin. 3 Monate: nur putzen, putzen, putzen, stets mit höchstem Standard.

Auch in den Theologie-Vorträgen und Gottesdiensten wurde die Ganzhingabe suggeriert und eingeflößt. Nur als Beispiel das Lied, das wir oft gesungen haben: „Verleugnet euch, verlasst die Welt“ …  oder in einer Theologie¨„Bemüht euch mit aller Kraft durch die Enge Tür zu gelangen.“ Oder 1 Korinther 7: „Verheiratet sein, als ob nicht …  wer sich freut, als freue er sich nicht“ ……

In Tansania gab es eine Filiale der ‚IG‘. Anfangs wäre ich gern hingegangen. Aber die Chefin: „Da gibt es ja keine Krankenscheine zu stempeln.“ So wurden permanent meine Fähigkeiten auf ein Minimum reduziert und nicht anerkannt. Im Jugendalter hatte ich einen IQ von 120,  die vielseitige 3-jährige Ausbildung als Beschäftigungstherapeutin (heute Ergotherapie) habe ich mit Freude und viel Geschick absolviert, sowohl medizinisch als auch handwerklich, als Kind 7 Jahre Klavier gespielt, auch bei den Schüler-Konzerten. Trotzdem wurde mir vorgeworfen, ich könne ja nicht systematisch arbeiten. Aber wie hätte ich denn früher das alles schaffen können – ich war nicht so unfähig, wie es mir ständig suggeriert wurde!

Umziehen war fast immer die einzige Antwort auf die Klagen und Probleme, die ich bezüglich meiner Person selbst hatte und auch zu hören bekam.

Zu meinen Sonderaufgaben gehörten neben dem normalen Sprechstundenbetrieb: Bestellungen, Lieferungen, auch schwer-gewichtige, Reklamationen, 9 Kittel zur Reinigung tragen, abholen und einknöpfen, Feinputz, Kaugummi aus dem Teppich lösen, verschmierte Schokolade an Bilder-Tapete ohne Beschädigung säubern, Erbrochenes vom Teppich wischen, spezielle Raumpflege, spezielle Ordnung, die den anderen nicht abverlangt wurde.

Im Nachhinein sehe ich die meiste Zeit als Ausnutzung, Mobbing, Schikanen und Psychoterror, engmaschige Kontrolle bis ins Intimste hinein, mit ständig vielen Fehldeutungen mit folgender Ausgrenzung und Ächtung, Geistlicher Missbrauch. Aber ich war so im Ganzen gefangen, wie eine Fliege im Spinnen-Netz, und merkte es nicht.  –  (Als Jugendliche im Gymnasium habe ich sehr unter dem Abstrakten, Theoretischen gelitten, bin mehr praktisch veranlagt. Meine Mutter wollte mir so gern das Abitur ermöglichen, was ich ihr wegen meiner Schwierigkeiten dort leider übel genommen habe.  Das berechtigt aber niemanden dazu, in diese Kerbe zu hauen.)

2001 habe ich   endlich  meine Arbeitsstelle als Arzthelferin gekündigt. Mit  50 Jahren habe ich, neben der Berufsarbeit als Kinderpflegerin die Ausbildung zur Erzieherin gemacht, alle Prüfungen Erfolg-reich bestanden, als Externe. Berufspraktikum abgebrochen wegen Mobbing,  ich war deswegen an zwei verschiedenen Praktikumsstellen. Durch die vielen Jahre Mobbing in der IG war mein Selbstwert offensichtlich so geschwächt, dass auch weltliche Mitarbeiter in diese Kerbe hauten. Bis heute muss ich mich von Ausnutzern frei schaufeln, „Nein“ sagen lernen, mich nicht bedrängen lassen.  Nie vorher hatte ich in Arbeitsprozessen als Beschäftigungstherapeutin solche Erfahrungen gemacht wie in der IG, im Gegenteil, die Mitarbeiterinnen  haben mir immer sehr feinfühlig geholfen. Allerdings wurden wir von den anderen Berufsgruppen belächelt und nicht anerkannt.

Die Fähigkeit Kinder groß zu ziehen wurde mir seit unserer Hochzeit 1980 mit 29 Jahren abgesprochen, von verschiedensten Gemeindeleuten, nachdem ich depressiv geworden war, in der Arbeit als Arzthelferin, und in der Gemeinde. – Seit 1996 ging ich ‚Babysitten‘ an meinem freien Tag, seit 2001 arbeite ich beruflich mit Kindern, bis heute über die Rente hinaus. Es gelang mir von Anfang an die Stärken und Schwächen der Kinder zu führen, Stressabbau zu betreiben mit Fangen-spielen und Rennen, und sie zur Ruhe zu bringen mit Vorlesen oder anderen Spielen.  –  Gemeinde-Kinder wurden in andere Familien gegeben, von den Eltern weg, das machte mir auch Angst, eigene Kinder zu bekommen. Und wenn sie Fieber bekamen, wurde den Eltern die Schuld gegeben. Aber wie schnell bekommen Kinder Fieber?!!

Die heutigen Befürworter der damaligen Gemeinde wollen nicht wahrhaben, sie ignorieren, dass  wir Geschädigte sind. Sie sprechen von „Verleumdungen und Gerüchten“ gegen die Gemeinde. Meine zuvor genannte „Chefin“ der Arztpraxis hat sich schriftlich entschuldigt. Sie tat nach Verlassen der IG vier Jahre lang Buße. Mechthild und Tobias W. als Kinder der Gründer-Eltern haben auch ihr tiefes Bedauern ausgedrückt. Aber die vielen anderen, auch die damals Verantwortlichen, verharmlosen, verschleiern, beschönigen, wollen mir einreden, wir hätten doch alle Erlösung erfahren, ich solle aufhören mit Klagen. Ein Priester der IG hatte mir gesagt: „Auf dem Boden der Kirche ist Versöhnung schon da.“ Das ist in meinen Ohren ein Hohn! Die Täter verweigern mir Gespräche, telefonisch, per Mail  und schriftlich. Sie alle SCHWEIGEN bis heute. Die Folgen des Geistlichen Missbrauchs bleiben, entstanden aus dem körperlichen und psychischen Stress, den ich dadurch erlebt habe. Die Folgen konnte ich bisher nur mühsam bearbeiten, mit verschiedensten kostspieligen Therapien, die nicht von der Krankenkasse bezahlt werden.

Kardinal Marx kam seiner Aufsichtspflicht nicht nach. Der Theologe und vorherige Kardinal Ratzinger von München wurde getäuscht, mit viel Fantasie und Einsatz durch die IG. –  Warum wurde das Archiv (hier wurden alle Briefe und Schriftstücke der IG gesammelt) vernichtet? Ich vermute, wohl nicht nur aus Platz-Gründen, es wurde ja auch immer wieder umgezogen an andere Orte.

Bischof Heiner Wilmer von Hildesheim sagt: Missbrauch von Macht steckt in der DNA der Kirche, im Kölner Stadt Anzeiger. Ich finde, dass es allen Bischöfen Not täte, diese seine Aussagen zu lesen.  

Raster und schmerzende bleibende Folgen für mich:

Keine Kinder! Von klein auf hatte ich mir zwei Kinder gewünscht. Noch einmal: Keine Kinder!

Doch noch viel mehr: Fibromyalgie mit wenig bis kaum Tiefschlaf, immer müde, viele Schmerzen von Kopf bis Fuß, viele Verspannungen, viele Alpträume besonders von großen Festen in der ‚Gemeinde‘, der IG. Empfindlich bei Überbeleuchtung und Überheizung seit der Arbeit in der Arztpraxis und der IG, und anderes.  

Z.B. 1985 Fußnagelpilz an allen 10 Zehen, die sehr dick und schmerzhaft wurden durch ständigen Angstschweiß an den Füßen. Seit ca. 1995 bekam ich so heftige Blähungen, dass sie in meinem nicht-schmerzhaften Leistenbruch ‚hängen‘ blieben, der immer größer und schmerzhafter wurde, so dass er 1997 operiert werden musste (ich hielt die Hand in der Kitteltasche auf den Bruch um die Schmerzen zu lindern). Auch starke Atembeschwerden, ich bekam schwer Luft durch die Zeitnot. Mein Arzt der IG damals: „Der Körper holt sich schon was er braucht.“

Viel KG, Physiotherapie wegen Rückenschmerzen seit den frühen 80er Jahren, das waren keine Altersbeschwerden wie behauptet wurde, ABC-Wärmepflaster mit Cayennepfeffer auf LWS und Nacken… Seelisch konnte ich mit Logotherapie manches bearbeiten, dann brauchte ich teure Trauma-Therapie.

Seit dem Interview mit BR-Stationen kann ich wieder besser schlafen. Gott und den Journalisten, Regisseuren sei es gedankt!

Die Jahre zuvor sind wir als Abgeschobene, Aussteiger und Aussortierte einen langen Weg gegangen mit Gesprächen mit den damals Verantwortlichen. Obschon ich viele Briefe geschrieben hatte, wurde der Missbrauch von den damals Verantwortlichen nicht korrigiert. Wir hörten  kein Erkennen,  kein Bekennen, und schon gar  kein Bereuen. Und niemand von ihnen kam zu den „Wegen der Versöhnung“. Selbst zu der Visitation mit drei Kirchenrechtlern, vom Erzbischof beauftragt, sind sie nicht gekommen. Im Gegenteil, sie erklären uns als Feinde, als Abtrünnige, im kirchlichen Raum.  Das ist ein nicht heilender Schmerz.

Viele haben zu Recht gefragt, warum wir nicht weg gegangen sind. Das verstehen wir selbst nicht wirklich, bzw. wir hatten ja alles investiert, hatten Familie und Verwandte abgehängt wegen der „Neuen Familie“. Wie gesagt, sind wir ja leider nicht die einzigen, auch wenn es bei weitem nicht alle betrifft von den an die tausend Beteiligten. Und natürlich gab es auch schöne Erlebnisse: Unsere Hochzeit wurde uns von der Gemeinde ausgerichtet und bleibt ein kostbares, schönes Erlebnis. (Wir hatten eine etwas wohlhabende verwandte Familie eingeladen, weshalb, nach meiner Vermutung, alle Gestalter und Helfer mit großem Einsatz dazu beigetragen haben, dass es eine wunderschöne Hochzeit wurde.) Bei manchen Geburtstagsfeiern wurde aus der Geschichte des Betreffenden erzählt, so dass man endlich etwas Persönliches konkret erfuhr.

Frage: Wie kann man wirklich verzeihen? Ich wünsche allen Beteiligten seit eh und je Gottes Segen, mit dem ja eigentlich alles gut gehen müsste. – 

Aber ich verteile auch immer noch Ohrfeigen, im Geiste, bei Flashbacks. Das hilft ein wenig, Spannungen zu lösen. Die bleibenden Folgen erschweren den Alltag heftig, wie tägliche Stolpersteine. Trotzdem gehen wir jeden Tag vorwärts.  

Und wir müssen leider weiter kämpfen für „Klarheit, Wahrheit, und Gerechtigkeit“!

Und wir wollen auch mahnen.