Die Integrierte Gemeinde (IG) entstand nach dem 2. Weltkrieg in München „aus einem Kreis um den charismatischen Priester“[1] Aloys Goergen (*14.1.1911, † 1.4.2005). Goergen verließ die Gruppe im Jahr 1968. Nach seinem Weggang war Traudl Wallbrecher (*18.05.1923, †29.07.2016) die führende Kraft der Gruppe. Sie wird im Allgemeinen als Initiatorin der IG betrachtet.
Über viele Jahrzehnte galt die IG als hoffnungsvoller kirchlicher Neuaufbruch, der die „Kirchenträume“ Vieler zu verwirklichen versuchte. Sie fühlte sich zur katholischen Kirche dazugehörend und wollte „mit ihrem Experiment auf die Reform der ganzen Kirche“[2] zielen. Die „Kluft zwischen Alltag und Gottesdienst, zwischen ‚Welt und Gottesherrschaft‘‘“[3] sollte überwunden, der weltgestaltenden Kraft des Glaubens in allen Lebensbereichen Raum gegeben werden. Noch 2008 schrieb die Herder Korrespondenz, dass die IG „nach wie vor zu den profiliertesten Aufbrüchen und Bewegungen innerhalb der Kirche“[4] gehört.
Die Mitglieder der IG lebten zusammen in Integrationshäusern (siehe Integration) und verknüpften ihr Leben in allen Bereichen miteinander. In den siebziger Jahren richteten sie z.B. eine kleine Krankenstation ein um ihre Kranken bestmöglich versorgen zu können. Mitglieder bauten unter anderem Arztpraxen und Apotheken, private, aber staatlich anerkannte Schulen, Handwerks- und Industriebetriebe sowie ein eigenes Verlagshaus auf und gründeten eine eigene Bank. Die IG engagierte sich mit einem eigenen Projekt in Tansania, errichtete eine Akademie in der Nähe von Rom, unterhielt später einen Stiftungslehrstuhl an der Lateranuniversität in Rom sowie mehrere Tagungs- und Festhäuser.[5]
Als ihr bekanntester Protektor galt Papst Benedikt XVI. em., der sie 1978 im Erzbistum München als eine apostolische Vereinigung in der röm.-kath. Kirche anerkannte. In den folgenden Jahren erfolgten kirchliche Anerkennungen in weiteren Diözesen. Neben diesen kirchlich-rechtlichen Vereinen wurden auch zivilrechtliche Vereine in Form von eingetragenen Vereinen gegründet.
Im Oktober 2020 distanzierte sich Benedikt XVI. em. öffentlich von der IG: er sei „über manches im Innenleben der IG nicht informiert oder gar getäuscht“[6] worden, es sei ihm zunächst nicht bewusst geworden, dass „bei dem Versuch, die Dinge des täglichen Lebens integral vom Glauben her zu gestalten, dabei auch schreckliche Entstellungen des Glaubens möglich waren“. [7]
Aufgrund von Klagen ehemaliger Mitglieder und eines zuvor im Wunsch um Klärung in die Leere gelaufenen Anstoßes von ehemaligen Mitgliedern, eine gemeinsamene, interne Aufarbeitung zu ermöglichen, den „Wegen der Versöhnung“, veranlasste das Erzbistum München im Feb. 2019 eine Visitation der IG, der abschließende Bericht der Visitatoren wurde auszugsweise im Nov. 2020 veröffentlicht. Die Visitatoren kommen darin u.a. zu dem Schluss: „Weitere wissenschaftliche Aufklärung und Aufarbeitung des entstandenen Schadens in der Kirche und des Leids der Betroffenen tun not.“[8] Kardinal Reinhard Marx löste den dazugehörigen öffentlichen kirchlichen Verein „Katholische Integrierte Gemeinde in der Erzdiözese München und Freising“ auf, leitete jedoch bis heute keine Aufklärung oder Aufarbeitung ein.
In der „Berichterstattung“ können Sie die Entwicklungen diesbezüglich anhand von öffentlichen Artikeln nachverfolgen, sie wird regelmäßig aktualisiert.
Es gibt Anzeichen, dass das „Experiment“ der IG weitergeführt wird: Das Vereinsregister beim AG München zeigt Veränderungen der weltlichen Rechtsträger der IG: Der zuvor bestehende „Integrierte Gemeinde e.V.“ wurde am 20.5.2020 zum „collegium theologia e.V.“. Der weltliche Rechtsträger der Priestergemeinschaft „P.i.D. Priester im Dienst an Katholischen Integrierten Gemeinden e.V.“ nennt sich seit dem 13.5.2020 „collegium scientia e.V.“.[9]
[1] .https://www.herder.de/hk/hefte/archiv/2020/11-2020/der-gottesbeweis-die-fragwuerdigen-praktiken-der-integrierten-gemeinde-und-die-nachsicht-der-kirche/
[2] Michael Winter: In der Mitte der Kirche. Warum die Integrierte Gemeinde neu ins Blickfeld gerückt ist. In: Herder Korrespondenz, 62. Jg., Heft 1/2008, S. 40
[3] Michael Winter: In der Mitte der Kirche. Warum die Integrierte Gemeinde neu ins Blickfeld gerückt ist. In: Herder Korrespondenz, 62. Jg., Heft 1/2008, S. 41
[4] Michael Winter: In der Mitte der Kirche. Warum die Integrierte Gemeinde neu ins Blickfeld gerückt ist. In: Herder Korrespondenz, 62. Jg., Heft 1/2008, S. 39
[5] Vgl. Michael Winter: In der Mitte der Kirche. Warum die Integrierte Gemeinde neu ins Blickfeld gerückt ist. In: Herder Korrespondenz, 62. Jg., Heft 1/2008
[6] .https://www.herder.de/hk/hefte/archiv/2020/11-2020/der-gottesbeweis-die-fragwuerdigen-praktiken-der-integrierten-gemeinde-und-die-nachsicht-der-kirche/
[7] .https://www.herder.de/hk/hefte/archiv/2020/11-2020/der-gottesbeweis-die-fragwuerdigen-praktiken-der-integrierten-gemeinde-und-die-nachsicht-der-kirche/
[8] https://www.erzbistum-muenchen.de/bericht-kig, aufgerufen am 2.6.2021
[9] Vgl. .https://www.herder.de/hk/hefte/archiv/2020/11-2020/der-gottesbeweis-die-fragwuerdigen-praktiken-der-integrierten-gemeinde-und-die-nachsicht-der-kirche/