Gedanken zu den Briefen eines ehemaligen Gemeindemitgliedes

ursprünglich veröffentlicht auf dieser Website, nun auf seinen Wunsch herausgenommen

Friederike und Tobias Wallbrecher 

Via Domenico Silveri 30   00165 Roma

 

Es ist sehr gut, dass mit diesem Briefwechsel  ein Gedankenaustausch beginnt, der schon vor vielen Jahren hätte beginnen sollen.

1. Es fällt auf, dass bei dem ehemaligen Gemeindemitglied die Verantwortung für die negativen Erlebnisse im Rahmen der Gemeinde einzig den Eltern oder gar den Kindern zugewiesen wird.

Er schreibt:

Wenn vielleicht in dieser Hinsicht „Ex-Mitglieder“ sich beklagen, so kann der Adressat der Klage nicht die Integrierte Gemeinde sein oder gar die Diözese, sondern sie können nur ihr eigenes Versagen beklagen oder das ihrer Eltern, wenn sie mit einer Trennung nicht einverstanden gewesen waren.

Leider kam es jedoch dazu, dass auf die Eltern oder Jugendlichen ein hoher moralischer Druck ausgeübt wurde, bestimmte Vorgaben der Verantwortlichen umzusetzen, einfach zu vertrauen auch ohne zu verstehen, also mit dem Anspruch des Glaubens. Und wer konnte da schon widersprechen, er/sie wollte doch auch glauben und sich einsetzen, war auch bereit dafür zu leiden. Und zwar Eltern wie Kinder, keiner wollte ausgeschlossen oder bestraft werden.

Das entstandene Leid aus solchen Situationen nur auf das Versagen der Einzelnen oder der Eltern zu verkürzen entspricht nicht der Wahrheit.

Denn so, wie man der Gemeinde und Ihren Verantwortlichen durchaus einen Anteil an den positiven Erlebnissen zuweisen kann, so darf man den Anteil der Gemeinde und deren Verantwortlichen  an den negativen Erlebnissen und die damit verbundene Schuld nicht leugnen.

2. Das ehemalige Gemeindemitglied schreibt:

Ähnliches gilt auch für das Geld. Auch wir haben alles, was uns möglich war, für die vielen Aufgaben der Gemeinde zur Verfügung gestellt, auch z.B. das Geld vom Verkauf unseres Hausteiles. Das mussten wir nicht, sondern das war unsere freie Entscheidung. Wenn nun jemand sich beklagen sollte, dass es bei ihm nicht so war, dann ist es nicht die Schuld der Gemeinde oder der Diözese, da muss er schon sich selbst den Schwarzen Peter zuschieben,..“

Leider gibt dieser kurze Abschnitt die wirklich sehr komplexen Zusammenhänge, die Eigentum, Umgang mit Geld etc. im Rahmen der Gemeinde betreffen,  in keiner Weise  auch nur annähernd wieder. Es gab viele, manchmal fast groteske Bemühungen, das Privateigentum aufrecht zu erhalten z.B. die „Möbelpässe“: dieser Versuch ist gescheitert und er war eindeutig ein von der Gemeindeleitung initiierter und vorgegebener Vorgang. Das Scheitern und die damit einhergehenden Konsequenzen (z. B. Verlust der eigenen Möbel) kann in keiner Weise  nur den Einzelnen angelastetet werden.

Ein anderes Beispiel, mit noch deutlich höheren Geldbeträgen verbunden, ist die Weise, mit der das „Eigentums – Experiment“ Fischer am See durchgeführt wurde. Ohne hier auf Details eingehen zu können, muss man festhalten, dass  hier manche Vorgänge zum Teil über die Köpfe der Beteiligten hinweg entschieden wurden ohne dass sie überhaupt den Zusammenhang ganz mitbekommen oder verstanden hatten.

Oder der in einigen Einzelfällen evt. sinnvolle, aber in seinen Auswirkungen bei anderen  völlig  unreflektierte Aufruf, die Gemeinde als Haupterbin in den Testamenten einzusetzen, was im Grunde zu einer Enterbung der betroffenen Kinder führte.

Zusätzlich muss man berücksichtigen, dass die Erfahrungen  Ende der 70er und in den  80 Jahren andere  waren als in den späteren Jahren, denn der Umgang mit Geld und Eigentum wandelte sich damals im Rahmen der Gemeinde.

3. Das ehemalige Gemeindemitglied schreibt:

Dann gibt es noch die unsägliche Reportage im BR mit der leidgeprüften Lydia Wilmsen….Wirklich nicht zu ertragen ihre lockeren und flotten Urteile über die Gemeinde, und die Filmemacher verwenden diese noch als Dokument für die kritischen Aussagen  im Visitatoren-Zwischenbericht. Zum Schluss klagt sie noch über ihr durch die Gemeinde  geschädigtes  Selbstwertgefühl.  Ein Defizit von Selbstwertgefühl kann man beim besten Willen nicht nachempfinden bei ihrem Auftritt im Film oder ihren vielen Auftritte im Internet. Ein solcher flott gedrehter Kurzfilm ist ganz bestimmt kein valides Dokument zur Information über die Gemeinde..“

Der Kurzfilm mit Lydia Wilmsen ist ohne Zweifel sehr schmerzlich und schwer zu ertragen für alle, die in der Gemeinde gelebt haben und sich für sie eingesetzt haben, so wie wir auch. 

Aber, ist man nicht schnell in der Gefahr, den  Widerwillen gegen das Gehörte und Gesehene umzuwandeln in eine Herabsetzung der Glaubwürdigkeit der Person der Frau Lydia Wilmsen und derer, die den Film gemacht haben?

Ist es nicht die Aufgabe der Journalisten, einen „flotten Dreh“ zu produzieren, damit die Sache überhaupt ansehbar wird – und stellt dies dann ernsthaft  den Wahrheitsgehalt  einer unangenehmen Aussage des Films von vorneherein in Frage?

Wer die Internetpräsenz von Lydia Wilmsen aufmerksam liest, merkt, dass hier jemand aus persönlich erfahrenem Leid spricht, dass diese Person versucht, basierend auf Selbsterlebtem anderen auf deren Lebensweg Rat zu geben.  Man kann nur dankbar sein, dass die im Film durchaus glaubhaft zugegebene Beschädigung des Selbstwertgefühles dieses jungen Menschen nicht zu einer Lebensunfähigkeit geführt hat. Und es gehört Mut dazu, sich in dieser Weise zu outen:  aus unserer Sicht erhöht all dies die schmerzhafte Glaubwürdigkeit von Lydias Beitrag zur Aufklärung der KIG Geschichte: zumal wir leider in den letzten Jahren feststellen mussten, dass sie nicht die Einzige ist, die unter dieser Problematik zu leiden hatte als Jugendliche in der KIG.

4. Sowohl in dem Brief an M. Kneißel wie in dem Brief an Gudrun Mann wird deutlich, wie wenig  das ehemalige Gemeindemitglied vom konkreten Leben der beiden Frauen L. Wilmsen und G. Mann weiß. 

Wer sich dessen bewusst wird, sollte sich vielleicht zunächst von jedem Urteil über diese höchst persönlichen Aussagen zu ihrem Leben enthalten, die ja großen  Mut erforderten und offensichtlich nur aus erlittenem Leid (Trauer? Verzweiflung?) geboren sein können.  Vielleicht wäre es klüger,  mehr verstehen und im Detail wissen zu wollen, hinzuhören und die Personen im persönlichen Gespräch wahrzunehmen.

5. Täter und Opfer

Gerade an Lydias Eltern wird deutlich, dass sie als zeitweise Verantwortliche in der Gemeinde durchaus auch Täter waren, aber das schließt nicht aus, dass sie auch Opfer waren . Die Kinder jedenfalls waren nur Opfer und mussten sich aus einer leidvollen Situation befreien.

Diese paradoxe Situation gilt für fast alle Personen, die in der Gemeinde mehr oder weniger Verantwortung getragen haben.  Jeder Einzelne ist gerufen, sich damit auseinanderzusetzten, um Verzeihung zu bitten und evt. Verzeihung zu gewähren.

All das scheint uns nicht mit wenigen Worten zu fassen und mit einfachen Vorschlägen zu lösen zu sein.

Wir sind dankbar für die differenzierte, gläubige Antwort von M. Kneißel auf den ersten Brief des ehemaligen Gemeindemitglieds.

Tobias und Friederike Wallbrecher

 

Die Briefe des ehemaligen Gemeindemitgliedes werden auf seinen Wunsch hier nicht mehr veröffentlicht.

 

Dieser Text entspricht den Erfahrungen und Erlebnissen der Autoren. Die Website exigler.de distanziert sich von allen Missverständnissen und rechtlichen Verpflichtungen.

Wir bitten alle Betroffenen, sich auf die für sie geeignete Weise Hilfe zu holen. Besonders gut und wichtig wären weitere Berichte – wir bitten Euch darum.