Die lange Suche nach dem Glauben

Seit ich auf die exigler-Seite gestoßen bin, kämpfe ich mit mir: Einerseits habe ich den starken Wunsch, mich auf dieser Seite zu äußern – meine Erfahrungen und wie ich damit umgehe ins Wort zu bringen und dadurch manches auch für mich klären zu können – und mit anderen zu teilen.  Andererseits sage ich immer wieder zu mir, dass ich gar nicht dazu berechtigt bin.
Dazu muss ich mich kurz vorstellen:
Ich war ewiger Gast der Gemeinde – von 1979 bis 1993. Also: ich bin die, die gar nie irgendetwas von der Gemeinde verstanden hat. Ich bin die Person gewordene Hängepartie. Ich bin die, die nie bereit war, sich auf die Gemeinde und ihre Führung einzulassen. Ich bin die, die keinen Glauben hat, kein Vertrauen.
 
Meine Geschichte: Wenn ein Mensch zur Gemeinde kommt, so erfährt er zunächst Hilfe in der Bewältigung seiner persönlichen Problematik. Die Gemeinde lag auch bei mir richtig in der Einschätzung meiner Schlagseiten und Unfreiheit.
Das war nicht das Problem.
Das Problem war, dass mit mir nie darüber geredet wurde – dass es nie angesprochen wurde, wo es an meiner Person noch ganz arg mangelte und auf welchem Weg die Gemeinde mir daraus helfen wollte. So war vorprogrammiert, dass ich es nur missverstehen konnte. Ich verstand den vorgeschlagenen Weg als Ausgrenzung, als Absonderung: Ich wurde von der Gemeinde, in der ich doch unbedingt sein wollte, ausgeschlossen. Ich war nicht gut genug. So begann ich mich zu hassen. Ich war aggressiv nach innen und außen. Und weil niemals klärend und erklärend mit mir darüber geredet wurde, gab es auch kein Entkommen daraus. Es gab immer nur die Weisung: “Vertraue dem Rat der Gemeinde! Glaube der Gemeinde!”. Im Lauf der Jahre wurde alles nur immer noch schlimmer. Irgendwann war ich nicht mehr in der Lage, zu lernen und zu arbeiten. Meine Berufsabschlüsse fielen schlecht aus, weil ich nicht bei mir war – vor lauter Selbsthass….
Wie bin ich daraus entkommen? Obwohl ich innerlich total eingefroren war, habe ich mich irgendwann (da war ich schon Mitte 30) auf eine Freundschaft mit einem Mann eingelassen. Ich konnte es gar nicht fassen, dass er mit mir zusammen sein wollte – dass er sagte, ich hätte eine schöne Seele. Diese Freundschaft endete damit, dass ich meinte, diesen Mann in die Gemeinde bringen zu müssen, weil sie ja mein Ein und Alles war….. Bald kam der Vorschlag der Gemeinde, wir sollten voneinander Abstand nehmen….. – Sehr, sehr bald hatte ich dann den nächsten Freund….  Mit meinem jetzigen Lebenspartner bin ich seit 23 Jahren zusammen und ich bin immer noch süchtig nach seiner Liebe und seiner Nähe – dass er mir bestätigt, dass ich o.k. bin – weil ich es immer noch nicht fassen kann, dass es jemand gibt, der mich erträgt und der mit mir auf Dauer zusammen sein möchte.
 
Oft denke ich auch, dass ich spinne. Ich denke: meine Wahrnehmung stimmt gar nicht. Wahrscheinlich verhält sich alles ganz anders. Das macht mir viel Stress. Trotzdem möchte ich meine Gedanken und Erkenntnisse über die Gemeinde äußern.
Weil die Integrierte Gemeinde ein theologisches Phänomen ist, möchte ich auch in einer theologischen Sprache dieses Phänomen beschreiben und zu klären versuchen.
 
Was heißt das: “Vertraue der Führung der Gemeinde”? Es heißt: “Glaube an das Charisma von Frau Wallbrecher!” – Bei all ihrem Charisma, Erfahrung und Weisheit war sie aber – nur ein sündiger Mensch. Und die Sünde bestand darin, zu mir zu sagen: “Mein Rat ist der Wille Gottes für dein Leben”.
Ein Mensch kann immer nur gebrochen den Willen Gottes erkennen. Ein Mensch kann niemals eindeutig den Willen Gottes für einen anderen Menschen wissen.
In der Gemeinde gab es den Begriff “Glauben zweiter Hand”. Das heißt für mich übersetzt: Wenn ich schon selber Tomaten auf den Augen habe und selber nichts “blicke”, dann soll ich nicht mir die Tomaten von den Augen nehmen lassen, um selber sehen zu lernen, sondern soll blind durchs Leben stolpern, in der Meinung, dass da schon jemand die Steine und Fallstricke aus dem Weg räumt. Eine mühsame Sache. Also nicht: “lerne den Glauben an Gott”, sondern: “vertraue der Gemeinde”.
 
Ich glaube, dass die Integrierte Gemeinde Werk Gottes ist. Ich habe dort Gottes Wirken gesehen. Andersherum gesagt: Ich glaube, dass Traudl Wallbrecher – in dieser Konstellation als Leiterin der damaligen Gruppe, später Integrierter Gemeinde, – auf einem langen Weg des Experimentierens und Fragens und Suchens und vieler Ent-Täuschungen kapiert hat, was unverkürzter Glaube an Gott ist.  Sie hat den Glauben an Gott gefunden. Sie hat das Charisma des Glaubens empfangen und damit die Gabe der Unterscheidung zwischen Glauben an Gott und Glauben an andere Götter. Sie hat mit großer Menschenkenntnis, gläubiger Intuition und Hellsichtigkeit Menschen wahrnehmen können in ihrer Unfreiheit und ihren Schlagseiten – und sie hat sehr vielen Menschen auch helfen können.
 
Nur das Charisma des Glaubens weiterzugeben, das ist ihr nicht gelungen. Alle Versuche der Filiation der Gemeinde sind gescheitert.
 
Ja, es stimmt: es ist ‚was schief gelaufen in der Integrierten Gemeinde. Es ist sogar ziemlich viel schief gelaufen, und schon seit ziemlich langer Zeit. Nur: war das jemals anders? Die Bibel ist voll davon, dass das Volk Gottes ständig auf das falsche Gleis geraten ist und neben ‘naus ist. Deshalb ist die Bibel so dick geworden. Und die Kirchengeschichte ist auch kein Ruhmesblatt für die Kirche.
Aber ist das ein Grund, das Unternehmen “Integrierte Gemeinde” gleich ganz abzublasen? In der Bibel und in der Geschichte der Kirche und der Integrierten Gemeinde ist nämlich auch das Rezept und die Kriterien zu finden für solche Fälle, ein Werkzeugkasten für Reparaturen: Da steht: “Du sollst keine anderen Götter haben neben mir” (2. Mose 20.3) und: “Macht Kranke gesund, weckt Tote auf, reinigt Aussätzige, treibt böse Geister aus” (Matth. 10.8)
 
Und das gilt immer noch: Glaube an Gott ist nur zu finden in der Entgötterung der Welt – in der Kritik in jedem Götzendienst. Denn erst wenn alle, aber auch alle Altäre unserer Herzpuppengötter abgeräumt sind, dann lässt sich Gott bitten, in unserer Welt und in unserem Miteinander Wohnung zu nehmen. Wenn wir aber wieder anfangen, unseren “kleinen Schwächen”, die ja nicht so schlimm sind, nachzugeben und zu huldigen,  – und auch wenn wir versäumen, dem anderen den Spiegel vorzuhalten, weil er neben der Spur ist, und ihn nicht darauf hinweisen, –  wenn wir andere Menschen so toll finden, dass wir kritiklos und ohne eigene Verantwortung ihre Ansichten und Einsichten für uns übernehmen und danach handeln, – wenn wir vergessen, dass wir Sünder sind,  –  dann ist Gott auch sehr schnell wieder weg.
 
Ich bedauere es zutiefst, dass die Integrierte Gemeinde sich aufgelöst hat.
 
Die Welt braucht eine Hoffnung.
 
Christiane
 
 

Dieser Text entspricht den Erfahrungen und Erlebnissen der Autorin. Die Website exigler.de distanziert sich von allen Missverständnissen und rechtlichen Verpflichtungen.

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