Als Kind und Jugendliche hatte ich schon von den Gemeindeversammlungen gehört, auch wenn ich natürlich nicht dabei war. Aber ich hatte verinnerlicht: Das ist ein Ort, an dem Erwachsene auch mal weinend rauskommen, ein Ort, an dem manchmal scheinbar Schlimmes gesagt wird und für mich war das auf jeden Fall etwas außerordentlich Beängstigendes. Gleichzeitig hieß es immer, die Versammlung sei etwas ganz Wichtiges und Gutes. Soweit meine kindlich gefühlte Wissenslage, die eigentlich perfekt meine Zerrissenheit, mit der ich aufwuchs, spiegelt: Ich lebte in der Annahme, dass das Allerbeste so schrecklich sein konnte!
Dass ich nicht widersprechen darf, war mir sowieso klar. Im Hin- und Hergeschoben werden zwischen verschiedenen Wohnorten, an denen z.T. recht unterschiedliche Anforderungen an uns Kinder gestellt wurden, versuchte ich alles brav zu machen, um möglichst unbeschadet „durchzuschwimmen“. Die für mich gefühlte Instanz, die über all dem lag, was ich nicht verstand, war die „Versammlung“. Es konnte passieren dass ich abends ins Bett ging mit einer Vorstellung darüber, wo und wie ich wohne, was wichtig ist oder nicht, und am nächsten Morgen (nach der Versammlung) schien die ganze kleine kindliche Welt für mich aus den Angeln gehoben.
Aber es war nicht nur meine kindliche Welt, die über die Versammlung immer wieder abrupt neue Richtungen nahm, auch, oder gerade eben die Erwachsenen mussten sich regelmäßig dieser „Versammlung“ in Glaubensgehorsam stellen. Im „Handbüchlein für Christen“ wird beschrieben, was Gehorsamkeit für ein Mitglied bedeutet: „es zuzulassen, daß die Leidenschaft des einzelnen – das was er spontan und ausdauernd will und erstrebt – kontinuierlich von der Versammlung auf die Sache der Gemeinde ausgerichtet, kritisiert und korrigiert wird.“[1]
Als ich älter wurde, kam auch für mich die Zeit, diese Versammlungen besuchen zu dürfen. Es war eine Ehre, dorthin gehen zu dürfen. Die andere Seite hatte ich auch erlebt: Ich war oft nicht gut, nicht gläubig genug, zur Versammlung kommen zu dürfen: Da lebte ich also als Erwachsene in einem Integrationshaus, alle fuhren zur Versammlung, nur eine – ich – nicht. Wenn dann alle heimkamen, fühlte ich mich wie aussätzig, ausgestoßen. Kleine Steigerung, das habe ich auch erlebt: Alle fuhren zur Versammlung; sie nahmen mich mit, setzen mich in einem putzenswerten Integrationshaus ab. Ich putzte dieses und wurde nach der Versammlung wieder abgeholt. So erlebte ich persönlich es als Demütigung, nicht an Versammlungen teilnehmen zu dürfen – daher oben genannter Ausdruck: Ich durfte die Versammlungen zeitweilig auch besuchen bzw. wurde zu Versammlungen eingeladen. Von zwei erlebten Versammlungen möchte ich gerne berichten.
Neulich erzählte mir ein langjähriges Gemeindemitglied, dass diese Versammlungen selbst Herrn Dr. Wallbrecher anscheinend etwas mulmig waren. Er sagte demnach in einer Versammlung: Wenn er geladen würde, möchte er doch vorher bitte erfahren um was es geht, welches Sache ansteht, damit er sich vorbereiten könne! Genau das fehlte. Für mich als Betroffene waren es Anklagen aus heiterem Himmel, mit z.T. falschen Zeugnissen ohne Beweise, ohne der Möglichkeit, zuvor andere „Zeugen“ direkt befragen, mitnehmen und mitsprechen lassen zu können, ohne der Möglichkeit, sich selbst zu verteidigen oder erklären zu können. Ankläger und Richter waren die gleiche Person bzw. Personen, die zuvor schon ihr Urteil gefällt hatten. Man könnte das auch Schauprozess nennen.
Oben genanntes Gemeindemitglied vertritt die Auffassung, dass es in den Anfangszeiten wirkliche, echte Versammlungen gegeben habe, an denen alle teilnahmen, jeder sprechen konnte und viele den Mut hatten, etwas zu sagen. Ich persönlich habe das nicht erlebt, da war ich noch zu klein.
Das sind nun „nur“ meine Erfahrungen mit Versammlung – aber ich persönlich hatte keine anderen, positive oder befreiende Erfahrungen, gemacht, von denen auch berichtet wird – vielleicht waren das solche aus dieser Anfangszeit.
Theoretische Aspekte zur Gemeindeversammlung
Dieser Text entspricht den Erfahrungen und Erlebnissen der Autorin. Die Website exigler.de distanziert sich von allen Missverständnissen und rechtlichen Verpflichtungen.
Wir bitten alle Betroffenen, sich auf die für sie geeignete Weise Hilfe zu holen. Besonders gut und wichtig wären weitere Berichte – wir bitten Euch darum.
[1] Handbüchlein für Christen. (Erster Entwurf). Gesamtherstellung: Integrierte Gemeinde. München: o.J. (ca. 1981)
[2] Vgl. https://www.therapie.de/psyche/info/index/diagnose/dissoziative-stoerungen/entstehung-haeufigkeit-und-verlauf/