„Hauswirtschaftslehre“ 

Alter: 15 – 18 Jahre

Als ich in die neunte Klasse ging – damals lebte ich mit meinen Eltern zwischenzeitlich wieder in Österreich – hatte ich keine Lust mehr auf Schule. Ich beschloss, diese abzubrechen und träumte von einer Ausbildung als Maschinendreherin oder Kfz-Mechanikerin. Zufällig – oder nicht zufällig – fuhren wir zu diesem Zeitpunkt für ein paar Tage nach Urfeld, wo wir führende Gemeindemitglieder trafen. Sie luden mich zu einem leckeren Kakao am Walchensee ein und erklärten mir dabei, dass es für eine Frau grundlegend wichtig sei, das Haushaltswesen zu beherrschen. Wenn eine Frau älter wird, meinten sie, würde sie nicht mehr gerne unter Autos liegen um diese zu reparieren. Ich möge doch eine Hauswirtschaftslehre machen. Ich wusste, dass man den anwesenden Personen nicht widersprechen durfte, oder sollte, willigte ein und dachte mir, dass ich ja auch danach noch meinen eigenen Berufswünschen folgen könne.

Im Sommer, ich war gerade 15 Jahre alt, zogen wir nach München und ich startete die Lehre. Offiziell war ich in einem Haushalt bei einer Hauswirtschaftsmeisterin angestellt, zusammen mit einem anderen Lehrling. An diesem offiziellen Ort befand ich mich jedoch nie, mit der Hauswirtschaftsmeisterin hatte ich auch nichts zu tun, dafür aber kümmerte sich eine andere Hauswirtschaftsmeisterin zeitweilig um uns. Sie versuchte wirklich liebevoll, uns wichtige hauswirtschaftliche Dinge beizubringen. Was mich allerdings ärgerte, war, dass wir anfangs dafür immer samstags zu ihr kommen mussten. Später wurde ihr für ein paar Wochen die Möglichkeit gegeben, sich für einen Tag mit uns in einem der Gemeindehaushalte zu treffen, um uns „besondere“ Dinge zu zeigen. Das war aber nur eine kurze Episode. Da auch der zweite Lehrling an ganz anderen Orten als dem offiziellen Ausbildungsplatz arbeitete, trafen wir uns gelegentlich abends, um Berichtsheft zu schreiben. Gemeinsam überlegten wir uns phantasievoll, was wir gekocht und gelernt hätten.

Wo aber war ich, wenn nicht an meinem offiziellen Ausbildungsort? Aufgrund der vielen Umzüge und Arbeitsplatzwechsel ist es fast unmöglich, sich an alle Orte zu erinnern. Mir fallen neun „Lehrstellen“ ein, an einer von diesen war ich zweimal, was bedeutet, dass ich jährlich mindestens in drei verschiedenen Haushalten eingesetzt wurde. Zum Großteil arbeitete ich bei einer erfahrenen Person, zweimal bei oben genannter Hauswirtschaftsmeisterin. Ich erinnere mich allerdings auch an ein großes Integrationshaus, das ich allein zu versorgen hatte. In diesem Haus lebten ca. zehn Personen. Mittags kamen um die sieben Leute zum Essen, sie arbeiteten teils dort in der Nähe. Wochenends lebten weitere Menschen regelmäßig bei uns. Ich war noch relativ „frisch“ dabei und hatte wenig hauswirtschaftliche Erfahrung, insbesondere was das Kochen betraf. Oft war ich verzweifelt, weil ich nicht wusste, was und wie ich kochen sollte, insbesondere am Wochenende, das mit größeren Ansprüchen ans Essen einherging… In dieser Zeit wurde das Bayerische Kochbuch mein bester Freund. Ich wälzte es hin und her und versuchte Gerichte nachzukochen. Es gab auch diese Momente, in denen ich während dem Kochen kurz in den Keller sauste, um Wein für die Leute zu holen, für wenige Augenblicke auf der Treppe sitzen blieb und weinte, weil mir all die Arbeit zu viel war. Aber was blieb mir, als meine Verzweiflung zu schlucken und dann weiter zu kochen. Einmal die Woche musste ich in die Berufsschule. Das bedeutete konkret, dass ich am Vortag umso mehr Arbeit hatte: Ich musste zusätzlich für den kommenden Tag alles vorkochen und vorbereiten, damit das Mittagessen dann nur noch aufgewärmt werden musste.

Ein sehr prägender Moment war, als zu dieser Zeit einmal ein Fest in Wolfesing (IG-Gemeindezentrum) veranstaltet wurde, bei dem es auch Mittagessen gab. Ich war so froh: Einmal nicht kochen, einmal einfach ein Fest feiern, wie schön! In Wolfesing angekommen wurde ich jedoch sofort in die Küche abkommandiert – ich erinnere mich noch gut, was für eine Wut und Enttäuschung in mir war! Sofort war mir klar: Ab jetzt werde ich nicht „nur“ Integrationshäuser versorgen, sondern auch immer in der Küche oder beim Bedienen helfen, wenn Feste sind, ich hatte also das „nächste Level“ erreicht – und so war es auch.

Mein Tag damals begann früh morgens und endete erst, wenn alles erledigt war. Ich war dafür zuständig dieses große Haus mit all seinen Bewohnern zu versorgen. Es bestand für mich keine Frage, jeden Tag, also Montag bis Sonntag, das Essen auf den Tisch zu stellen, den Einkauf zu erledigen, alles zu waschen, zu bügeln, was auch immer anfiel, selbst wenn ich noch nicht einmal volljährig war und geregelte Lehrzeiten etwas ganz anderes gewesen wären.

Bei internen theologischen Vorträgen hörte ich oft über den Stellenwert des Dienens: Es war die höchste Ehre, den anderen dienen zu dürfen! Dies hatte ich verinnerlicht und wollte gerne meinen Dienst im Integrationshaus tun, ich dachte, ich diene auf diese Weise Gott selbst. Bei einem dieser Vorträge wurde aus der Bibel Sprüche 31,10-31 vorgelesen – „Das Lob der tüchtigen Frau“. Besonders zwei Halbsätze sind in mir hängen geblieben: „Sie steht schon auf, wenn es noch dunkel ist, bereitet die Mahlzeiten vor…“ und „…  arbeitet sie beim Schein der Lampe bis spät in die Nacht.“ Ich fühlte mich schlecht, da ich diesem Ideal nicht genügte, nicht nahe genug kam. Die Integrationshäuser mussten doch optimal versorgt werden, dass alle glücklich waren – und ich tat meinen Dienst sicher nicht gut genug.

 

Hausfrau

Alter: 18 – 25 Jahre

Nachdem ich 1987 meine dreijährige Hauswirtschaftslehre abgeschlossen hatte, wurde ich noch mehrere Jahre in diversen Integrationshäusern oder für gemeindliche, meistens hauswirtschaftliche Stellen eingesetzt.

Selbstverständlich arbeitete ich auch samstags und sonntags. Entweder kochte ich in dem Integrationshaus, in dem ich gerade lebte oder an sonstigen Orten, an denen ich speziell eingesetzt wurde, oder ich putzte z.B. eine Zeit lang samstags stets die Wohnung einer Familie, die offenbar keine Zeit dazu hatte.

Ein „normales“ Wochenende aus meiner Sicht:

Samstag vormittags: Vorkochen für Samstag-Abendessen und Sonntagmittagsessen und Kuchen backen, gleichzeitig ein Samstagsessen kochen, je ca. für 12 Personen. Meist waren hierzu zwei Frauen am Werk, trotzdem war es viel Arbeit.

Samstag nachmittags/abends gingen wir zur „Theologie“: Oft traf man sich erst zu Kaffee und Kuchen (musste vorbereitet werden) und dann starteten wir mit einer Singprobe für die Lieder vom Sonntag. Anschließend wurden uns biblische Texte, meist die Texte vom Wochenende, aus gemeindetheologischer Sicht dargelegt, vielfach gefolgt von einem Gespräch, in dem gerne die Theologie mit dem konkreten Leben verknüpft wurde.

Samstag abends: Feierliches Abendessen

Sonntag vormittags: Gottesdienst im Gemeinderahmen, dann schnell an den Herd sputen und Mittagessen fertigkochen. Immerhin wurde das Spülen i.A. von Nicht-Köchen übernommen.

Sonntag nachmittags gab es nach einer kurzen Pause Kaffee und Kuchen, dann gerne eine kleine gemeinsame Unternehmung.

Sonntag abends: Gemeinsames Abendessen

Besonders anstrengend fand ich die Feiertage, da sie für mich bedeuteten, dass neben ausführlichen IG-Veranstaltungen sowohl mittags als auch abends ein ganz besonderes Essen für ca. 12 Menschen auf den Tisch kommen sollte. Zum einen fehlten mir die normalen Arbeitstage, um die wöchentlichen Hausarbeiten zu erledigen, das musste also schneller geschafft werden, zum anderen waren diese für mein Gefühl vom Kochpensum her betrachtet noch anstrengender als das Wochenende. So war ich immer froh, wenn Feiertage am Wochenende gelegen waren.

Ein paar wenige Male lebte ich auch in kleineren Integrationshäusern, wo die Hausarbeit gut aufgeteilt war und mein Part nicht ganz so groß war.

Für mich war all die Arbeit damals absolut selbstverständlich. Ich wollte das auch, ich wollte dienen, für mich kam nichts anderes in Frage. Als aber meine eigenen Kinder in dieses Alter kamen, konnte ich mir nicht vorstellen, dass sie so viel arbeiten könnten oder sollten wie ich damals. Sie brauchen auch Zeit für sich, Zeit, um Freundschaften aller Art aufzubauen, Zeit zum Reden und Nachdenken, Zeit auch um die Seele baumeln zu lassen oder einfach mal etwas Lebensfrohes zu tun, mit Gleichaltrigen spielen oder feiern, Bücher lesen, das zu tun, was aus ihnen heraus kommt, was sie freut. Das war mir erst sehr fremd, kam mir vor wie krasser Egoismus, aber inzwischen verstehe ich nicht mehr, wie ich meine eigenen Bedürfnisse so verleugnen konnte, dass ich meinen ganzen Lebenssinn im Dienst für die anderen finden konnte. Mein persönlicher Traum vom Autos reparieren hatte sich im Laufe der Haushaltslehre schon längst erledigt. Erst zum Wintersemester 1999, nicht mehr in der IG lebend, folge ich meinen eigenen Berufswünschen und begann das Studium der Grundschullehre.

Heute habe ich das Problem, dass ich nicht für andere kochen kann, was schwierig ist, wenn wir jemanden einladen möchten. Ich fühle mich dann wie eine Sklavin, das müssen verdrängte Gefühle aus dieser Zeit sein, und ich falle schlagartig in eine tiefe Depression. Ich vermute, dass man erst ein eigenes Leben aufbauen dürfen sollte, um dann aus eigener Entscheidung in Freude für andere dazusein.

 

Dieser Text entspricht den Erfahrungen und Erlebnissen der Autorin. Die Website exigler.de distanziert sich von allen Missverständnissen und rechtlichen Verpflichtungen.

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